„Nie geglaubt, dass ich den Sozialstaat brauchen würde“
„Ich hätte nie geglaubt, dass ich einmal den Sozialstaat brauchen würde.“ So oder so ähnlich drücken sich viele aus, die in den letzten Monaten in den Sozialsprechstunden des KPÖ-Stadtrats Robert Krotzer waren. Etwa 25 neue Menschen wandten sich Woche für Woche, im ersten Quartal 2021 an sein Büro – zusätzlich zu jenen, die schon länger beraten und unterstützt werden.
Das Einkommen reicht nicht zum Auskommen
Durch den Lockdown sind viele in Kurzarbeit oder haben ihren Job überhaupt verloren. Besonders drastisch sind die Auswirkungen bei allen, die in der Gastronomie beschäftigt waren. Denn sowohl Kurzarbeits- als auch AMS-Geld werden anhand des Lohns berechnet. Das Trinkgeld fällt aber schon viele Monate aus – Geld, das aber zum Auskommen unbedingt nötig ist.
„Das im EU-Vergleich erschreckend niedrige Arbeitslosengeld von 55 Prozent des letzten Einkommens verschärft die Situation. Über die Monate der Lockdowns haben viele Menschen deshalb Mietrückstände oder Schulden aufgebaut“, weiß Krotzer. Eine Erholung am Arbeitsmarkt zeichnet sich nicht ab. Auf eine freie Stelle kommen derzeit etwa zehn Arbeitssuchende.
Wohnungssicherung am Wichtigsten
Den sinkenden Einkommen stehen steigende Wohnkosten gegenüber. Mietrückstände bringen immer mehr Grazerinnen und Grazer in Bedrängnis. Doch viele von ihnen wissen nicht, dass oder wie sie um Wohnunterstützung anzusuchen können.
Mit 1. April werden jene Mieten fällig, die im April, Mai und Juni des letzten Jahres coronabedingt gestundet werden konnten. Krotzer befürchtet einen sprunghaften Anstieg der Delogierungsanträge.
Erschwerte Behördenwege
Ungewohnt und unangenehm sind für viele die diversen Behördenwege. „Zwar kann vieles per Mail erledigt werden, aber schriftlich genau zu artikulieren, worum es geht, fällt vielen schwer. Etliche Menschen tun sich schwer dabei einzuschätzen, auf welche Unterlagen es bei welchem Anliegen ankommt. Wenn man alles mitschicken will, explodieren die Mail-Anhänge. Diese Dinge telefonisch zu klären, ist oft schwierig“, schildert Barbara Weißensteiner, Referentin für Pflege und Soziales im Stadtratsbüro. Vor allem bei Gericht ist es oft kompliziert, wenn man zur Amtsstunde muss – was nur mit Voranmeldung möglich ist –, etwa weil man im Schuldenfall einen Exekutionsregisterauszug benötigt oder um einen Unterhaltsherabsetzungsantrag zu stellen, da man nach einem Verlust des Arbeitsplatzes die Alimente nicht mehr zahlen kann.
Besonders hart trifft es Menschen mit psychischen Belastungen. „Wegen der Zutrittsregelungen war es in vielen Ämtern nicht möglich, dass einen die mobile sozialpsychiatrische Betreuung begleitet und unterstützt“, so Weißensteiner.
Sozialarbeit wird immer wichtiger
Die Isolation setzt den Menschen zu. Das trifft nicht nur alte Menschen, sondern auch immer mehr jüngere – „Alleinstehende ebenso wie Leute, die sich im Corona-Jahr von ihrem Partner oder ihrer Partnerin getrennt haben“, erklärt Krotzer. „Der direkte Kontakt, das persönliche Gespräch ist gerade in Situationen, in denen viele das erste Mal die Erfahrung machen, plötzlich auf den Sozialstaat angewiesen zu sein, wichtig“, ergänzt Weißensteiner.
Eine Entspannung der Situation ist nicht in Sicht. „Alle reden von der Corona-Müdigkeit. Aber die ist nicht zu verstehen, ohne die drastischen sozialen Folgen der Krise zu bedenken“, so Weißensteiner. Gerade deshalb wird die soziale Arbeit immer wichtiger: „Die Gesundheitskrise und die soziale Krise sind zwei Seiten einer Medaille. Und die soziale Krise wird wohl viel länger dauern.“
Robert Krotzer ist Stadtrat für Gesundheit und Pflege in Graz.
Kontakt: robert.krotzer@stadt.graz.at
Tel.: 0316 872-2070
Veröffentlicht: 31. März 2021