Ein Besuch am anderen Ende der Balkanroute
Ein Kommentar von Robert Krotzer
Diese Woche besuchte eine Delegation der KPÖ Graz die Sammelstelle Spielfeld. Wo im Herbst und Anfang des Jahres jeden Tag oft tausende Menschen aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan ankamen, um in Europa Schutz vor Krieg, Terror, Verfolgung, Armut und Elend zu suchen, herrscht heute gespenstische Stille. Das große Areal mit seinen Zelten und Containern, der Essensausgabe, dem provisorischen Krankenlager, den Feldbetten und Gittern, an denen Menschen auf den Weitertransport mit Bussen warteten – heute ist es menschenleer, sieht man von den wenigen Polizisten und Soldaten sowie den MitarbeiterInnen des Roten Kreuz und der Caritas ab. Nur der eisige Wind rüttelt an den Zeltplanen.
Mit Ende März wird es noch stiller werden, das Rote Kreuz und die Caritas werden ihren Einsatz beenden. Die HelferInnen und auch hunderte Freiwillige haben über Monate geradezu Übermenschliches geleistet und zehntausende Menschen versorgt, betreut, verpflegt und behandelt. Sogar ein Baby wurde hier in Spielfeld auf die Welt gebracht. Nun stehen Dutzende MitarbeiterInnen der Hilfsorganisationen vor der Kündigung und damit vor der Arbeitslosigkeit. Das scheint der Dank der österreichischen Bundesregierung für all die geleistete Arbeit zu sein. Anstatt Pläne vorzulegen, wie die Einbindung von geflüchteten Menschen von Beginn an im Interesse aller hier lebenden Menschen bestmöglich funktionieren kann, erleben wir von SPÖ und ÖVP tagtäglich jene unsäglichen Hofknickse vor der FPÖ und den Boulevardmedien, die das gesellschaftliche Klima mehr und mehr vergiften – und jede Vernunft ausschalten. Vernünftig wäre es etwa, all die von den HelferInnen in Spielfeld gesammelten Erfahrungen in anderen Bereichen zu nützen, anstatt diese Arbeitsplätze ersatzlos zu streichen.
Zugleich sitzen zehntausende geflüchtete Menschen seit der – von der österreichischen Bundesregierung maßgeblich betriebenen – Schließung der Balkanroute an der griechisch-mazedonischen Grenze fest. Im Schlamm und Dreck von Idomeni werden die „europäischen Werte“ verteidigt. Die österreichische Innenministerin Mikl-Leitner sprach erst unlängst wieder vom „Bau der Festung Europa“, Außenminister Kurz sprach gar davon, dass es „nicht ohne hässliche Bilder gehen wird“. Hier kann man einen kurzen Blick auf Kurz‘ „hässliche Bilder“ werfen
Und die europäische Politik wird noch viel hässlichere Bilder produzieren…
Die KPÖ Steiermark hat keine einfachen Lösungen für die vielfachen Krisen unserer Zeit, die auf das Engste mit der tiefen globalen Krise des Kapitalismus, seinen Kriegen und der wirtschaftlichen Ausplünderung ganzer Erdteile verbunden sind und somit die Lebensgrundlage von Millionen Menschen zerstören. Vor jenen, die einfach Lösungen vorgaukeln, sollte man auf der Hut sein – und noch mehr vor jenen, die einmal mehr Sündenböcke vorführen. Wirtschaftliche Krisen und soziale Probleme lassen sich nicht abschieben, so laut die Hetzer auch brüllen mögen.
Fest steht, dass die Frage von Frieden und sozialer Gerechtigkeit hier vor Ort beginnt. Es geht dabei auch um die Fragen, wie das Zusammenleben in unseren Städten, in unserem Land aussieht. Wer glaubt, ein friedliches Zusammenleben ließe sich wahlweise mit der Kürzung der Mindestsicherung oder mittels Sturmgewehr-tragender PolizistInnen auf öffentlichen Plätzen erreichen, wird am Ende in einem Polizeistaat aufwachen, dessen klaffende Wunde einer noch schärferen sozialen Ungleichheit wiederum durch mehr Überwachung geflickt werden muss – auf Kosten der sozialen Sicherheit. And so on, and so on, and so on. Gesellschaftliche Teilhabe, soziale Sicherheit und eine Zukunftsperspektive sind der wirksamste Schutz vor dem Abdriften von Teilen der Bevölkerung in menschenfeindliche Ideologien – ob nun djihadistischer oder neofaschistischer Ausprägung.
Eine soziale und menschliche Antwort auf die gegenwärtigen Krisen muss folglich gänzlich anders aussehen als das, was wir heute erleben. Um gleichermaßen wirksam eine bestmögliche Integration geflüchteter Menschen von Beginn an zu sichern sowie gegen die Rekordarbeitslosigkeit vorzugehen, braucht es in Wahrheit die Schaffung tausender Arbeitsplätze: In der Flüchtlingsbetreuung, in der Sprachförderung und in Bildungseinrichtungen, aber auch in der Bauwirtschaft, um den dringend benötigten Wohnraum in den Ballungszentren für alle Menschen zu schaffen. Mit einem solchen umfassenden Programm kann ein Ruck durch das Land gehen, der die gegenwärtige Flüchtlingskrise als Chance wahrnimmt, die Lebensbedingungen von ÖsterreicherInnen und MigrantInnen zu verbessern.
Die Versorgung, Unterbringung und soziale Einbindung jener Menschen, die in Österreich Schutz vor Krieg und Verfolgung erhalten, wird zusätzliche Budgetmittel erfordern. Die hier angekommenen Menschen nicht zu betreuen, birgt ebensoviel Sprengkraft, wie die Kosten hierfür den arbeitenden Menschen aufzulasten oder soziale Leistungen zu streichen. Durch eine längst fällige Besteuerung der großen Vermögen ab einer Million Euro lassen sich zusätzliche Mittel für Bildung, Arbeit, Gesundheit und Soziales für alle Menschen lukrieren, die das Gefühl von Fairness und Chancengleichheit ein Stück weit zurückgeben.
Die österreichische Souveränität wiederum wird nicht mit Grenzzäunen verteidigt. Vielmehr ist es nötig, dass Österreich auf der Grundlage der immerwährenden Neutralität beginnt, seine Rolle in der Weltgemeinschaft neu zu definieren, sich aus der Geiselhaft der kriegerischen US- und EU-Außenpolitik zu befreien und konsequent für Frieden und globale Gerechtigkeit eintritt. Dazu wird es auch nötig sein, sich aus den fiskalpolitischen Fesseln des EU-Stabilitätspakts zu lösen, um Handlungsspielräume für eine Wirtschaftspolitik zu schaffen, die sich an den Bedürfnissen der Bevölkerung orientiert und nicht Banken- und Konzerninteressen verpflichtet ist.
Die Politik der etablierten wie der rechtsaußen stehenden Biedermänner und Brandstifterinnen mit ihrer Panikmache, dem Augenverschließen vor sozialen Problemen und dem Gegeneinanderhetzen der Schwächeren und Verängstigten bedroht nämlich nichts Geringeres als die Grundlagen, auf denen ein besseres Zusammenleben für alle Menschen möglich ist: Solidarität, Frieden, Demokratie und Gerechtigkeit.
Diese Werte werden wir Faymann, Mikl-Leitner, Kurz, Strache und Co. nicht in „Werteschulungen“ vermitteln können. Dafür wird es Druck von unten, eine Offensive für soziale Gerechtigkeit und eine neue Friedensbewegung brauchen.
Robert Krotzer ist KPÖ-Gemeinderat in Graz
Veröffentlicht: 30. März 2016