Die Grazer Gesundheitsdrehscheibe ist für alle da

Eröffnungsrede von Gesundheitsstadtrat Robert Krotzer (KPÖ)

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Foto: © Foto Fischer

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,

liebe Festgäste, liebes Team der Gesundheitsdrehscheibe!

 

Ich darf euch alle an diesem für uns so besonderen Tag herzlich begrüßen und Danke sagen, dass wir die Eröffnung der Grazer Gesundheitsdrehscheibe mit über 400 Gästen begehen dürfen. Wir haben eine sehr große Freude!

 

„Denn die einen sind im Dunkeln. Und die anderen sind im Licht.

Und man siehet die im Lichte. Die im Dunkeln sieht man nicht.“

 

Diese Worte aus Bertolt Brechts Dreigroschenoper durfte ich im Herbst 2019 beim 20-jährigen Jubiläum der Caritas-Marienambulanz und des Caritas-Kontaktladens im Grazer Rathaus zitieren – dem Jubiläum von zwei auch heute gänzlich unverzichtbare Säulen der Gesundheitsversorgung in unserer Stadt für Menschen, die keine Krankenversicherung haben oder an Suchterkrankungen leiden. Für Menschen also, die vielfach im Dunkeln stehen und – bewusst oder unbewusst – oftmals nicht gesehen werden.

 

Anfang 2019, also im gleichen Jahr, haben Eva Winter und ich nach einem Hinweis von Doktor Hans Peter Meister den Gesundheitskiosk Hamburg besucht. Wir haben Antworten auf die Frage gesucht, wie auch die Stadt Graz selbst einen Beitrag leisten kann. Einen Beitrag dazu, für all jene Menschen in unserer Stadt da zu sein, die mit gesundheitlichen Problemen alleine sind, die an sozialen Barrieren oder sprachlichen Hürden scheitern, die mit unterschiedlichsten Krankheitsbildern im Dunkeln stehen und Hilfe suchen.

 

Beim Gesundheitskiosk in Hamburg-Billstedt wurden wir nicht nur fündig, sondern auch mit offenen Armen und umfassenden Einblicken empfangen. Billstedt ist der ärmste Stadtteil Hamburgs, die Lebenserwartung liegt hier mehr als zehn Jahre unter jener im reichen Hamburg-Blankenese. Hier begann vor mehreren Jahren ein Team aus unterschiedlichen Gesundheitsberufen und mit verschiedensten Sprachkenntnissen in einer belebten Einkaufsstraße damit, im Verbund mit Hausärzt:innen Gesundheitsberatungen anzubieten: Ein offenes Ohr für Patient:innen zu haben, Aufklärung über Befunde und Therapien zu geben – auch in der jeweiligen Muttersprache, sozialarbeiterische Begleitung, Wege zu Gesundheitseinrichtungen, Spezialist:innen oder Therapieangeboten zu ebnen und zu begleiten. Orientierung im oft schwer durchschaubaren Dschungel zu geben und Menschen auf Augenhöhe zu begleiten. Die Idee war so einfach wie überzeugend - und überzeugt hat uns auch die Praxis, die wir dort miterleben durften.

 

Denn Armut macht krank. Und Krankheit macht arm.

Wie man es dreht und wendet, diese Erfahrung gilt auch für Graz - und sie ist für tausende Menschen in unserer Stadt täglicher Alltag, bittere Realität, schmerzende Ausgrenzungserfahrung. Krankheit und Kränkung liegen nicht nur sprachlich eng beisammen, sondern sie verschmelzen vielfach im Leben von Menschen, die mit einer Erkrankung oder multiplen Krankheitsbildern alleine sind - die durch soziale Hürden und Klassenschranken, aufgrund finanzieller Probleme, sprachlicher Barrieren oder mangelnder Begleitung nicht den Weg zu einer adäquaten Behandlung finden.

 

Die Gesundheitsdrehscheibe soll da sein für den LKW-Fahrer oder die Heimhelferin, die nach jahrzehntelanger harter Arbeit chronische Rückenschmerzen haben. Für den einstigen „Gastarbeiter", der sich auf Baustellen seinen Körper zerschunden hat. Für die Mindestpensionistin, die nach dem Tod ihres Gatten an Einsamkeit und Depressionen leidet und zugleich von finanziellen Sorgen geplagt ist. Für den Studenten, der psychische Probleme hat und nicht weiß, wohin er sich wenden soll. Für geflüchtete Menschen, die ihre Heimat durch Krieg und Not verlassen mussten und sich schwer tun in einem ganz neuen, ganz anderen Gesundheitswesen. Für sie alle soll die Gesundheitsdrehscheibe in besonderer Weise da sein - und zugleich natürlich allen Grazerinnen und Grazern offenstehen, die Schwierigkeiten haben, sich im oft undurchsichtigen Gesundheitswesen zurecht zu finden oder die schlichtweg ein offenes Ohr brauchen.

 

Die Idee dazu haben wir also 2019 mit nach Graz genommen - und schnell gefunden war auch der Name: Gesundheitsdrehscheibe, angelehnt an den Namen der Grazer Pflegedrehscheibe, deren Team seit 2015 viele tausend pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen großartig begleitet hat bei der Suche nach der besten Form der Pflege und Betreuung und Menschen in schwierigen Situationen zur Seite steht. Dieses praktische Tun verkörpert im besten Sinne, wie wir uns Graz vorstellen: Eine Stadt an der Seite der Menschen!

 

In eben diesem Sinn sind wir mit Freude und Elan an die Ausformulierung der Ideen und Erstellung der Konzepte für die Gesundheitsdrehscheibe Graz gegangen, wobei wir damals schon auf die Hilfe, das Wissen und die praktische Erfahrung von Christoph Pammer zurückgreifen durften. In unserer Euphorie wurden wir aber jäh gestoppt – erst von der Corona-Pandemie, die unsere Gesellschaft insgesamt, aber ganz besonders das Team des Gesundheitsamts vor bislang unvorstellbare Herausforderungen gestellt hat. Die Herausforderungen konnten vom Gesundheitsamt mit enormem Arbeitseinsatz bei gleichzeitiger Umsichtigkeit und dem richtigen Augenmaß bewältigt werden konnten. Und nach Überwindung der größten Pandemie-Herausforderungen sind wir vorläufig an den politischen Mehrheiten gescheitert.

 

Aufgegeben haben wir das Ziel der Gesundheitsdrehscheibe aber nie, wir haben uns um alternative Finanzierungsmöglichkeiten bemüht und schließlich konnten wir nach der letzten Gemeinderatswahl unsere fertigen Konzepte wieder aus der Schublade holen. Dabei ist es mir als Stadtrat der Grazer KPÖ ein besonderes Anliegen, meinen Dank nicht nur Bürgermeisterin Elke Kahr und Finanzstadtrat Manfred Eber für die vielfältige Unterstützung auszusprechen, sondern auch insbesondere unseren Koalitionspartnern der Grazer Grünen und der Grazer Sozialdemokratie zu danken, die schnell von der Sinnhaftigkeit dieser Einrichtung zum Wohl der Grazerinnen und Grazer überzeugt waren.

 

Mein Dank gilt weiters Eva Winter und ihrem Team des Gesundheitsamts der Stadt Graz, die mit uns immer hinter der Idee gestanden sind – sowie meinen Kollegen, Gesundheitsreferenten und Büroleiter Christopher Fröch, der für die Idee der Gesundheitsdrehscheibe gebrannt hat und brennt.

 

Die beste Idee bleibt aber nur eine Idee, wenn sie keine praktische Umsetzung findet und darum gilt mein besonderer Dank Christoph Pammer und seinem Team der Community Nurses und den weiteren Kolleg:innen aus Sozialarbeit, Psychotherapie, Physiotherapie und Administration für den Aufbau der Gesundheitsdrehscheibe und dem enormen Einsatz dabei. Schon im Probebetrieb über den Sommer konnten sie zahlreichen Menschen ganz wesentliche Hilfestellung leisten, ihnen eine neue Orientierung im Umgang mit ihren Erkrankungen geben und neue Perspektiven im Leben aufzeigen. Ich danke euch von Herzen für alles Bisherige und wünsche euch alles, alles Gute für alles Kommende!

 

Mit der Eröffnung der Gesundheitsdrehscheibe beschreiten wir als Stadt Graz ganz bewusst einen anderen Weg, einen Weg des gesellschaftlichen Zusammenhalts – einen Weg gegen den Strom der Zwei-Klassen-Medizin und gegen den Strom der Profitmaximierung auf Kosten des Menschenrechts auf Gesundheitsversorgung.

 

Wir wollen den Geist einer umfassenden medizinischen Versorgung für alle Menschen unabhängig von sozialer Herkunft, Einkommen oder Vermögen neu beleben. Dabei bauen wir auf, auf dem Geist der gegenseitigen, solidarischen Absicherung, die aus bitterer Not zu einer Sozialversicherung geführt hat, die von der Arbeiter:innenbewegung hart errungen wurde. Eine Sozialversicherung, die unser Land für uns alle so viel lebenswerter macht im Gegensatz zu jenen Ländern, in denen dieser Standard an Menschenwürde noch nicht erreicht werden konnte.

 

Den Weg einer sozialen Medizin für alle Menschen wollen wir gemeinsam mit allen unseren Kooperations- und Bündnispartnern gehen – mit Sozial- und Gesundheitseinrichtungen, Hausärzt:innen und städtischen Abteilungen, Einrichtungen der psychosozialen Versorgung und Berufsverbänden unterschiedlichster Gesundheitsberufe, Krankenhäusern, Vereinen, Selbsthilfegruppen und Selbstorganisationen. Ich darf mich nochmals sehr herzlich bedanken für das große Interesse von so vielen Seiten, die erfahrene Offenheit für Kooperationen, das wohlwollende Begleiten beim Aufbau der Gesundheitsdrehscheibe – ganz besonders bei unseren engsten Abstimmungspartnern, von denen ich namentlich die Gesellschaft zur Förderung der Seelischen Gesundheit, die Caritas-Marienambulanz, unsere slowenischen, Kärntner und Grazer Partner im INTERREG-Projekt „Gesundheit für alle“, die Gesundheit Österreich GmbH für das Projekt „Community Nurses“ sowie die Österreichische Gesundheitskasse und den Gesundheitsfonds Steiermark nennen darf.

 

Vielen Dank für die bisherige Hilfe und alle kommenden Kooperationen – gemeinsam erreichen wir mehr zum Wohl aller Grazerinnen und Grazer!

»Eine Stadt an der Seite der Menschen«

14-12-23 Bud­get­re­de von Stadt­rat Robert Krot­zer (KPÖ), 14. De­zem­ber 2023. Ge­sund­heit, Pf­le­ge und In­te­g­ra­ti­on sind zen­tra­le ge­sell­schaft­li­che The­men. Da­ran hal­ten wir auch in her­aus­for­dern­den Zei­ten fest. 

Veröffentlicht: 7. September 2023