Böse Überraschung bei der Miete
Wohnbaufördermodell mit Spätfolgen
Bis vor zwei Monaten war für Herrn S. die Welt noch in Ordnung. Doch dann die Hiobsbotschaft: Statt bisher 435 Euro soll er für die Wohnung ab sofort 653 Euro monatlich bezahlen.
Für ihn ist eine Welt zusammengebrochen. Erst vor rund einem Jahr hat er die kleine Wohnung bezogen, um sich nach der Scheidung und Überlassung der gemeinschaftlichen Eigentumswohnung an seine Frau und die Kinder an die neuen wirtschaftlichen Verhältnisse anzupassen. In der Folge hat Herr S. sehr viel Zeit und auch Geld in die Sanierung der Wohnung gesteckt: Neue Böden, Austausch der Fenster, Türen neu…
110 Euro zum Leben
Herr S. war 25 Jahre berufstätig, er verdient 1451 Euro netto und hat drei Kinder (Mittelschule, Maturaklasse und Studium). Nach Abzug der Wohnkosten und der Alimente von 700 Euro blieben ihm bisher rund 330 Euro zum Leben. „Im September hat Herr S. die Vorschreibung bekommen, mit welcher sich seine Wohnung durch die Rückzahlung der Landesförderung schlagartig um 218 Euro verteuert hat“, weiß Wohnungsstadträtin Elke Kahr. „Da ihm so nur mehr rund 110 Euro zum Leben bleiben, kann er sich diese Wohnung nicht mehr leisten. Und weil bei der Wohnbeihilfenberechnung des Landes Alimente nicht berücksichtigt werden, hat er auch keinen Anspruch auf Wohnbeihilfe.“
Erbe verfehlter Wohnungspolitik
Wie Herrn S. geht es derzeit vielen Mieterinnen und Mietern, aber auch EigentümerInnen von Wohnungen, die eine Wohnung nach dem Wohnbauförderungsgesetz 1993 gemietet oder gekauft haben. Damals war FP-Landesrat Michael Schmid für das Wohnbauressort in der Steiermark zuständig. Auf sein Betreiben hin beschlossen VP, SP und FP im Land, das Fördersystem umzustellen: Landeskredite wurden abgeschafft. Die Förderung wurde auf ein Zinszuschuss-System umgestellt, bei dem die gewährten Zuschüsse am Ende wieder zurückgezahlt werden müssen. Als „Sternstunde freiheitlicher Politik“ bezeichnete die FP-Fraktion seinerzeit das neue Gesetz im Landtag.
Viele sind betroffen
„Die Abkassierer bitten die Masse der Bevölkerung zur Kasse“ schrieb die KPÖ bereits damals im Grazer Stadtblatt. Aus Protest gingen die Grazer Kommunistinnen und Kommunisten im Dezember 1992 auf die Straße und trugen die soziale Wohnungspolitik symbolisch zu Grabe (siehe Foto).
Die Rechnung dieser Wohnungspolitik wird jetzt präsentiert: Tausende Menschen in der ganzen Steiermark sind betroffen, ob sie in Bruck wohnhaft sind, in Voitsberg oder in Leibnitz. Fast täglich kommen derzeit verzweifelte Mieterinnen und Mieter ins Büro von Stadträtin Elke Kahr, weil sie mit der sprunghaften Erhöhung der Wohnungskosten nicht mehr zurande kommen. „Für Gemeindewohnungsmieterinnen und –mieter gibt es das Mietzinszuzahlungsmodell der Stadt Graz, das die Mehrbelastung abfedert, wenn mehr als ein Drittel des Haushaltseinkommens fürs Wohnen ausgegeben werden muss. Damit können wir wenigstens einem kleinen Teil der Betroffenen helfen“, so Kahr. „Doch alle anderen trifft es mit voller Wucht.“
Ziel der Wohnungsstadträtin ist es jetzt, beim Land eine Erstreckung der Rückzahlungsfristen zu erreichen, damit die Belastung wenigstens auf mehrere Jahre verteilt werden kann. Das Problem dabei: Das Land hat die Darlehen inzwischen an die Banken verscherbelt, um Budgetlöcher zu stopfen Damit hat es sich von deren Kooperationsbereitschaft abhängig gemacht!
Veröffentlicht: 27. November 2015